Der Passagier 

Von der Besteigung des Pico do Ruivo kehren Rahel, Marcel und Tobias müde aber glücklich gegen Abend zurück. An Bord finden sie Juri vor, der wegen eines Knieproblems nicht in die Berge mitkommen wollte. Aber auch er hat einen schönen Tag in Funchal verbracht und außerdem Johannes kennengelernt. Juri nennt ihn einen  Landstreicher, der seit 42 Tagen auf Madeira lebt und sich nur von Früchten ernährt. Nun allerdings möchte Johannes woanders hin und hat sich überlegt, er könne doch mit einer Yacht auf die Kanaren segeln.

Auf dem Weg zum Pico do Ruivo

 

Im Hafen ist er bei den meisten Schiffen abgeblitzt, aber Juri findet ihn nett und wirbt dafür ihn doch mitzunehmen. Der Rest der Crew und insbesondere der Skipper ist skeptisch. Er denkt an Erfahrungen mit Leuten, die wegen Seekrankheit über Bord springen wollten. Aber wir  wollen  Johannes kennen lernen und dann die Sache noch einmal besprechen.

Am nächsten Tag erscheint Johannes dann zum Vorstellungsgespräch. Er hat in Marburg sein Soziologie Studium abgeschlossen und macht jetzt einen ausgedehnten low-Budget Urlaub. Dass er seit 6 Wochen nur von Früchten lebt, kann man ihm ansehen… Er wirkt als könne er eine gute Mahlzeit mit ordentlich Kalorien gebrauchen.

Nun denn! Nach dem Vorstellungsgespräch bespricht die Crew das Projekt noch einmal und es wird beschlossen, Johannes mitzunehmen. Sollte er ernsthaft seekrank werden, würden wir das ziemlich rasch merken und dann umkehren. Das alles bekommt Johannes zu hören. Darüber hinaus allerlei Gruselgeschichten farbenfroh ausgeschmückt durch Marcel. Aber Johannes läßt sich nicht abschrecken und unterschreibt auch eine Haftungsausschlußerklärung, die ihm der Skipper abverlangt.

So! Jetzt haben wir also einen Passagier! Mit dem an Bord geht es nach einem guten Abendessen los in Richtung Selvagens und Teneriffa. Vor dem Hafen kommt die Zora ziemlich schnell bei wenig Wind ins Rollen und Johannes macht große Augen, versucht aber Contenance zu bewahren. Eine Weile lang schlagen die Segel und Zora schleicht weg vom Land. Dann innerhalb von Sekunden fällt der Wind ein. In der Dunkelheit ist die Stärke schwer zu schätzen. Aber das Wasser fliegt und das Ruder ist kaum zu halten. Der Skipper brüllt „All Hands“ zum Reffen, aber bis Juri und Marcel aus ihren Kojen kommen, vergeht eine Weile. In der Zwischenzeit fängt es vom Vorschiff zu knallen an. Kurz darauf fliegt der Klüver aus der Kederschiene an der Rollanlage und weht vom Masttop nach Lee. Noch ehe der Skipper überlegen kann, was zu tun ist, löst sich der Klüver im Top, landet im Wasser und wirkt wie ein gigantischer Treibanker. Nur an den Schoten ist der noch mit dem Schiff verbunden. Mit einem Kraftakt holen wir das nasse große Segel ein und stopfen es in in den Niedergang. Dann reffen wir das Groß, setzen die Fock und sind bald  wieder auf Kurs. Die Welle ist kurz und unangenehm. Das bringt bei Juri die Seekrankheit wieder zum Ausbruch und er verschwindet mit der Pütz im Schlepptau unter Deck. Johannes, unser Passagier, ist leichblass und sieht sein letzes Stündlein geschlagen.

Aber Zora und der Rest der Crew, Rahel, Marcel und der Skipper, haben den kleinen Schreck schon weggesteckt, teilen die Wachen neu auf und fangen an das Segeln zu genießen. Durch die Nacht geht es in Richtung Ilhas Selvagens. Erstaunlicherweise ist unser Passagier zwar verschreckt, aber nicht seekrank und sitzt im Salon meditierend auf der Koje und knabbert an seinen Bananen.

Bei Sonnenaufgang können wir zum ersten Mal erkennen, dass wir doch eine Menge Wind haben und die Welle erstaunlicherweise recht kurz und steil ist. Zora zieht von Hugo magisch auf Kurs gehalten durch die Kabbelsee, rollt aber doch gelegentlich bis zu 30 Grad. Gelegentlich steckt unser Passagier die Nase aus dem Niedergang und verschwindet dann wieder in seiner Koje. Das Kochen und Essen werden ein bisschen mühsam, weil man nirgends etwas abstellen kann, ohne dass es kurz darauf in hohem Bogen durch die Luft fliegt. Juri ist dementsprechend immer noch seekrank. Aber immerhin kommen wir flott voran. So flott sogar, dass unser Zeitplan aus den Fugen gerät: Die erwartete Ankunftzeit auf Selvagens Grande liegt mitten in der Nacht. Deshalb drehen wir Zora für 6 Stunden während der Nacht bei,  und da nirgends um uns herum irgendetwas optisch oder auf dem AIS zu sehen ist, legen wir uns alle schlafen. Der Skipper immerhin im Ölzeug, falls rasches Handeln erforderlich sein sollte.

Sechs Stunden später klingelt der Wecker und laut GPS sind wir gerade mal 6 Meilen gedriftet – noch dazu in die richtige Richtung. Also Fock wieder nach Lee, Ruder losgebunden und weiter auf unserem Kurs. Gegen 08:00 in der ersten Dämmerung können wir Selvagens Grande erkennen und eine Stunde später liegen wir in der Ensenada das Cagarras auf 14m Wassertiefe vor Anker. Das Wasser ist so klar, dass wir das leuchtende Gelb auf unserem tollen Spade in der Tiefe leuchten sehen.

Vor Anker auf Selvagens Grande

Die Ruhe an Bord lassen in Juri wieder die Lebensgeister erwachen und selbst unser Passagier wagt sich zum Frühstück ins Cockpit. Unseren Kaffee trinkt er gerne, aber unser Brot und unseren Käse verschmäht der Rohkostler…

Den Tag verbringen wir mit Baden und mit Reparaturen am Rigg: Der Klüver wird einigermassen an Deck gepackt und der Reserveklüver in die Rollanlage eingezogen. Ausser einem Riss im Segel am Keder scheint sonst alles heil geblieben zu sein. Wir vermuten, dass sich der Schäkel am Hals des Segels geöffnet hat und so die Havarie ausgelöst wurde. Am Abend bekommen wir dann eine lange ausführliche Führung über Selvagens Grande. Die Einladung zum Abendessen müssen wir leider ausschlagen, da wir noch am Abend weitersegeln wollen. Schade eigentlich!

Die Crew mit Passgier Johannes im Hintergrund auf Selvagens Grande

In die Nacht geht es auf unsere letzte Etappe nach Teneriffa. Der Wind ist ziemlich abgeflaut, so dass wir in Abständen von ein bis zwei Stunden Segel setzen und wieder bergen, insgesamt bestimmt zehn Mal. Schließlich taucht in der Dämmerung Teneriffa auf und gegen Mitternacht sind wir im Hafen von Santa Cruz. Zwei junge Holländer begrüßen uns freundlich und geben noch eine Runde Rotwein aus, der uns noch bis drei wach hält.

Am nächsten Morgen verabschiedet sich dann noch vor dem Frühstück unser Passagier. Ich glaube, wir werden langfristig nicht in die Passagierfahrt einsteigen!

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