Schlag nach Norden

Wenn der NE Passat im karibischen Winter auf den kleinen Antillen gut etabliert ist, dann folgen auf Perioden mit Winden zwischen 3 und 5 Beaufort regelmäßig mehrere Tage mit Starkwind, der in Böen 30kn erreicht, also Windstärke 7. An den Kaps der hohen Inseln ist der Wind durch Eckeneffekte verstärkt. Zusammen mit dem Strom, der mit 0.5 bis 2 Knoten durch die Passagen läuft entstehen Bedingungen, die man durchaus als sportlich bezeichnen kann. Die kleine Crew der Zora findet das wenig attraktiv und wartet deshalb die ruhigeren Perioden ab um weiter nach Norden zu segeln. Allerdings gibt es nicht auf allen Inseln geeignete Ankerplätze um während der Starkwindperioden sicher und komfortabel zu liegen und abzuwarten. Dadurch wird die Reiseplanung zum Puzzlespiel: Wann soll man wo losfahren und wo kann man dann sicher und attraktiv abwarten? Ende Februar wollen wir gerne auf den Virgin Islands sein um sowohl dort als auch für Puerto Rico ausreichend Zeit zu haben. Immerhin sind wir schon 43 Tage unterwegs und es verbleiben noch 47 Tage bis Gesa mit Ada von La Romana in Richtung Kiel abreisen soll.

So entsteht der Plan einen längeren Schlag nach Norden zu segeln und dann auf St. Barts oder St. Maarten auf angenehme Bedingungen für die Anegada Passage hinüber zu den Virgins zu warten. Das bedeutet aber auch: Wir müssen einige Inseln “auslassen”. Einige davon sind sicher interessant: Montserrat zum Beispiel mit seinem aktiven Vulkan aber auch Statia und Saba, die noch wenig vom Tourismus erfasst sind. Aber bekanUntlich kann man nicht alles haben und wir konkretisieren unsere Pläne: Von Point-à-Pitre auf Guadeloupe wollen wir zunächst nach Süden um Basse-Terre herum und dann auf der Leeseite der Insel wieder nach Norden. Von dort geht es dann via Montserrat, Nevis, St. Kitts, Statia und Saba nach St. Barts oder Sint Maarten, alles zusammen ca. 190 Meilen, für die wir 30 – 35 Stunden planen. Unser Helfer von der Werft, Ian Henry aus Dominica, möchte gerne mitfahren, denn er will nach Sint Maarten, wo es viel Arbeit gibt. Dem Skipper ist das ganz recht, denn das bedeutet zusätzliche Crew, falls die Bedingungen doch rauer werden sollten.

Allerdings is diese Aktion ist nicht ganz legal, denn Ian hat nur ein Seefahrtsbuch und keinen Pass. Das ist auch der Grund, warum er nicht per Flugzeug reisen kann. Die rechtliche Lage wird mit dem frisch zum Hamburgischen Rechtsanwalt in einer Seerechtskanzlei akkreditieren Sohn Jakob diskutiert und dann trotz rechtlicher Bedenken beschlossen. Gesa betrachtet das allerdings alles mit Sorge, zum Einen wegen der zu erwartenden Bedingungen auf See und zum Anderen wegen der rechtlichen Konsequenzen. Sie entscheidet schließlich, die Strecke nach Norden doch mit dem Flugzeug zu bewältigen und das Segeln Ian und dem Skipper zu überlassen. Als der Wetterbericht ein geeignetes Fenster verspricht, wird die Abreise auf den 15. Februar festgesetzt. Der Skipper holt Ian mit dem Beiboot von Land, klariert aus und wenig später ist Zora unterwegs. Draußen vor der geschützten Bucht von Pont-à-Pitre weht es mit fünf bis sechs Stärken aus E und die Welle ist aufgrund der komplizierten Tiefenverhältnisse recht rau. Aber nachdem einige Meilen in Richtung auf die Iles des Saintes zurückgelegt sind, wird das Segeln angenehmer.

Ian Henry aus Dominica am Ruder der Zora

Es geht zunächst um die Südspitze von Guadeloupe herum. Dazu gehen wir vor den Wind und baumen den Klüver aus. Unter vollen Segeln rauschen wir mit durchweg 8 – 9 Knoten durch die See, gesteuert zuverlässig von unserer Windpilot, die den Klüver nicht ein Mal einfallen lässt. Bei Pointe du Vieux-Fort bietet sich und ein kurioses Bild: Während wir auf 2-3 m hohen Wellen surfen, liegt wenige hundert Meter vor uns ein Kat völlig ruhig vor Anker. Und in der Tat: innerhalb weniger Bootslängen verschwindet die Welle schlagartig. Wir sind im Lee der Insel. Der Kontrast könnte dramatischer kaum sein. Im Lee wird allerdings auch der Wind launig. Immer wieder kommen heftige Böen von den hohen Berghängen, die uns mächtig wegkrängen. Dazwischen herrscht Flaute. Wir rollen den Klüver weg und motorsegeln. Ian steht an der Pinne und der Skipper kocht Kaffee. Als die dampfende Tasse gerade dem Rudergänger im Cockpit gereicht wird, fällt eine kräftige Böe ein. Mit dichtgeholtem Groß und ohne Vorsegel ist das Schiff völlig aus der Balance. Der Skipper saust nach oben um die Großschot zu lösen, Ian versucht mit aller Kraft das Schiff auf Kurs zu halten und der Kaffee? Der Inhalt der Tasse fliegt in hohem Bogen über Bord…

Aber unser Kurs in Richtung Montserrat führt uns zunehmend aus dem Lee von Guadeloupe heraus und der Wind wird stetiger. So vergeht der Nachmittag und gegen 17:00 stehen wir querab von Deshaies im Norden von Guadeloupe, wo wir die Schiffe eng beieinander vor Anker liegen sehen. Der Skipper entscheidet, vor Einbruch der Dunkelheit ein Reff ins Groß zu ziehen, denn der Wind ist kräftig und die Aussichten in der Dunkelheit auf dem Vorschiff herumzuturnen sind nicht so einladend. Ohne Klamotten nur in Unterhose turnt der Skipper nach vorn, denn es ist dort inzwischen ziemlich nass. Die Sachen trocknen rasch, aber sind hinterher voller Salz. Ian hält derweil zuverlässig Kurs und bedient die Großschot.

Kurz nach 18:00 geht die Sonne unter und es wird rasch dunkel. Ian nimmt die erste Wache und der Skipper legt sich aufs Ohr. Als der nach drei Stunden wieder im Cockpit auftaucht, sind wir bereits wenige Meilen vor Montserrat. Gespenstisch hebt sich der dunkle Vulkankegel gegen den atemberaubenden Sternenhimmel ab: Im Süden der Insel gibt es keinerlei Lichter und auch keine Seezeichen, denn aufgrund der vulkanischen Aktivität musste alles aufgegeben werden. Nur ganz im Norden der Insel sieht man in der Nacht einige Lichter auf engem Raum zusammengedrängt. Bis Mitternacht ist nun der Skipper auf Wache. Der nutzt die Muße um seine Kenntnis der Sternbilder aufzufrischen. Denn unsere Windsteuerung hält zuverlässig Kurs und es ist kaum Verkehr.

Der Himmel ist so dunkel und die Luft so klar, dass man die Lichter der umliegenden Inseln gut sehen kann: Guadeloupe im Süden, Antigua im Osten, St. Kitts und Nevis im Norden, alle zwischen 30 und 40 Meilen entfernt. Hoch im Zenith steht der Orion und im Norden, niedrig und mit der Deichsel teilweise unter dem Horizont, Ursa Major, der große Wagen. Auch Polaris steht niedrig und erinnert daran, dass wir hier 40 Grad südlicher sind als in Deutschland. Kurz vor Ende der Wache geht dann im Süden Cygnus, der Schwan auf, den man in unseren Breiten im Sommer hoch am Himmel sieht. So vergehen die 3 Stunden der Wache wie im Flug, besonders da man es sich unter der Sprayhood liegend sehr bequem machen kann. Man sollte nur nicht der Versuchung erliegen einzuschlafen, aber das ist während der ersten Wache kein Problem.

Schwieriger wird da für den Skipper die zweite von 03:00 bis 06:00, denn nun schlägt die Müdigkeit ordentlich zu. Zora steht schon zwischen Nevis und St. Kitts. Durch die 5 Meilen breite Lücke zwischen diesen Inseln pustet es ordentlich hindurch und erfordert die einen oder anderen Korrekturen an der Windsteuerung. Ein Passagierfahrzeug läuft lange fast parallelen Kurs mit nur 6kn und kommt näher. Schließlich greift der Skipper zum Mikrofon und fragt nach, ob man uns auf der Steuerbordseite eigentlich wahrgenommen hat. Der Wachoffizier bestätigt das pflichtschuldig mit starkem russischen Akzent. Aber kurz darauf beschleunigt der Dampfer, ändert seinen Kurs und fährt in sicherem Abstand vor uns durch. Der Skipper hat starke Zweifel, dass der uns wirklich auf dem Schirm hatte.

Um 08:00 erreichen wir die Lücke zwischen Statia und St. Kitts und gehen hoch an den Wind um im sicheren Abstand vor der Leegerwallküste zu passieren. Diesem Manöver fallen leider die Pancakes zum Opfer, mit deren Zubereitung der Skipper etwas zu spät im Lee von St. Kitts begonnen hatte. Bei 35 Grad Lage und 3m Welle zieht es der Skipper vor nicht mehr mit dem heissen Fett zu hantieren. Aber die Sonne scheint, der Wind ist günstig und in der Ferne erkennt man bereits die Umrisse von St. Barth und St. Martin, beide noch mehr als 30 Meilen entfernt. Ian singt Lieder und erklärt, dass er so seinen Widerstand gegen die korrupte Regierung in Dominica ausdrückt. Er erzählt Geschichten von Korruption, Elend, Mord. Er berichtet von seinen Erfahrungen mit Crews auf Derlivery-Törns nach Europa, von Kameradschaft an Bord und davon, dass die Kameraden, kaum an Land, von ihm, dem schwarzen Mann nichts mehr wissen wollten. Und er erzählt, dass er von seinem ersten Geld in St. Martin eine Motorsäge kaufen will, mit der er sein Haus auf Dominica wieder aufbauen kann. So vergeht die Zeit im Flug und am frühen Nachmittag segeln wir schon im Lee von St. Martin. Wenig später liegen wir vor Marigot auf der französischen Seite der Insel vor Anker. Ian ist ungeduldig und will rasch an Land: Er muss sich noch eine Unterkunft besorgen und es ist bereits 16:00. Am Dinghi Dock wartet Gesa bereits. Ein Händedruck und Ian ist auf und davon. Ob er wohl die Einladung auf ein Bier an Bord noch wahrnehmen wird in den nächsten Tagen? Wir wünschen ihm jedenfalls viel Erfolg bei seinem Bemühen in Dominica wieder auf die Beine zu kommen.

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