Seit Wochen haben Ausläufer des Azorenhochs Mitteleuropa fest im Griff. Es ist heiß und windstill: Kein Wetter, das zum Segeln auf der Elbe motiviert. Noch dazu vermissen wir die Weite des Atlantiks, den mächtigen Puls des großen Ozeans mit Welle und Wind, die sternklaren Nächte und das Leuchten der Hecksee in der Dunkelheit. Uns fehlt der Rythmus der Wachen, das einfache Leben an Bord und das Glücksgefühl wenn nach Tagen auf See das Land am Horizont auftaucht. Alles das können wir auf der Elbe nicht erleben.
Trotzdem brechen wir an diesem Wochenende auf: Morgens um 09:00 werfen wir in Wedel die Leinen los. Unter Maschine fahren wir vier Stunden bis Brunsbüttel. Dann kommt ein wenig Wind und wir setzen die Segel. Zuerst können wir gerade den Tonnenstrich in Richtung Ostemündung anliegen. Aber der Wind nimmt zu und dreht ein wenig nördlich. So segeln wir schließlich mit Kurs West an der Oste vorbei in Richtung Nordsee.

Inzwischen ist der Strom gekentert und von Cuxhaven kommen uns die ersten Segler entgegen, die den Tidenwechsel abgewartet haben. Da, zwischen vielen weißen Segeln ein hohes schwarzes Rigg, das rasch näher kommt. Deshalb sind wir heute hier.

Wir gehen über Stag und laufen wieder zurück in Richtung Brunsbüttel. Der hohe schwarze Segler wird uns rasch einholen. Und in der Tat, wenige Minuten später zieht die Class 40 „Red“ mit Speed in Lee an uns vorbei. Sie kommt von Bermuda und hat gerade die „Atlantic Anniversary Regatta“ des NRV vollendet. Freudiges Winken auf beiden Seiten, ordentliches Tröten auf der Zora, Fotos hier und da und ein kurzer Austausch per Whatsapp. Dann ist die Red schon fast ausser Sichtweite.

In Samaná hatten wir uns kennengelernt und einige Tage gemeinsam in der gastfreundlichen Marina Puerto Bahia verbracht. Etwa eine Woche vor uns ist die Red dann von Samaná in Richtung Bermuda aufgebrochen und hat für die 850 Meilen unter vier Tage gebraucht. Mit einem Schmunzeln erinnern wir uns daran, wie der Racer mit 15 Grad nach Steuerbord krängend den Hafen verlassen hat. An Bord hatte man konstante östliche Winde erwartet und entsprechend umgestaut. Ohne derartige Maßnahmen folgt Zora eine Woche später und braucht für die gleiche Strecke etwa 7 Tage, allerdings unter etwas weniger günstigen Bedingungen. Auf Bermuda liegt Zora in Dockyard wenige Meter von der Red entfernt, deren Crew allerdings schon wieder nach Europa gejetted ist. Für sie geht es erst im Juli mit der NRV Regatta weiter. Zu dieser Zeit ist Zora schon wieder in Hamburg und ihre Crew setzt sich mit den Höhen und Tiefen des Alltags auseinander.
Mittels Yellow Brick Tracker und NRV Blog nehmen wir an den Erlebnissen der Red teil. So halten wir unsere eigenen Erinnerungen ans Atlantiksegeln lebendig. Begeistert verfolgen wir die ersten Tage der Wettfahrt, in denen die Red ganz vorne im Regattafeld segelt und die Wertung der Class 40 anführt. Mit Bestürzung erfahren wir aber auch von zwei Kollisionen mit Treibgut und einem Wal, die einen Zwischenstopp auf den Azoren erzwingen. Schließlich freuen wir uns sehr, dass die Red nach etwas mehr als einer Woche weitersegeln kann. So erreicht sie etwa 12 Tagen von Horta die sommerliche Elbe.
Am Ende haben die Crew der Red und die Crew der Zora in einem Jahr den Atlantik umsegelt, allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Auf der Red gibt es keine Toilette, keinen Kühlschrank, keinen Backofen, keinen elektrischen Staubsauger und keine Fahrräder. Alles dreht sich um Speed und entsprechende Gewichseinsparung. Auf Zora dagegen wir viel gekocht und gebacken und das eine oder andere Segelmanöver um ein paar Stunden verschoben, damit man in der Nacht nicht auf dem Vorschiff herumturnen muss. Meistens fährt die Zora auch ganz alleine, nur von ihrer Windsteuerung auf Kurs gehalten. Die Wache im Cockpit muss sich dann Mühe geben nicht nur in den grandiosen Sternenhimmel sondern gelegentlich auch mal nach vorne zu schauen. Am Ende aber sind beide Schiffe mehr als 10000 Meilen gesegelt auf dem großen Ozean mit Welle und Wind, mit atemberaubenden sternklaren Nächten, dem Leuchten der Hecksee in der Dunkelheit und dem Glücksgefühl, wenn nach vielen Tagen auf See das Ziel an Land vor dem Bug erscheint. Die Sehnsucht nach dem einfachen Leben an Bord und dem Rythmus der Wachen wird uns so schnell nicht wieder loslassen…

